75-Jahre: Vom Lehrbub zum Vertriebsleiter

Da läuft immer ein Bub vorbei, der wäre doch was für euch". Das soll die Mutter des Firmengründers Georg Schlegel über den jungen Rolf Geisinger gesagt haben. Das war 1956 – und sie hatte recht: Kurz darauf begann der damals fast 14-Jährige seine Lehre bei Schlegel. Drei Jahre später beendete er als erster kaufmännischer Auszubildender seine Lehre und blieb weitere 45 Jahre im Unternehmen. Als Vertriebsleiter hat er die Entwicklung der Firma mitgeprägt. Rolf Geisinger erinnert sich.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre" – das galt damals auch für die Firma Schlegel. Ein Azubi hieß damals noch Lehrbub oder Stift, wenn man ihn denn überhaupt persönlich ansprach. Meist hieß es nur: „Komm mal her." Das Gehalt war gering. Im ersten Lehrjahr hat er 45 Mark im Monat verdient, im 3. dann 65 Mark. Samstagsarbeit war damals noch selbstverständlich und 48-Stunden die Regelarbeitszeit.

Als Lehrbub alles "tun müssen"

Dafür „habe ich als Lehrbub alles tun müssen" – oder dürfen. Mit 15 fuhr er zu den Landwirten, um ausstehendes Geld für Elektro- oder Installationsarbeiten einzutreiben. Hat man ihn denn als 15-Jährigen überhaupt ernst genommen? „Das hat mir nichts ausgemacht", sagt Rolf Geisinger heute. Klar war auch, dass der Lehrbub die Rollläden an den großen Aktenschränken zuzumachen hat. „Für was haben wir denn einen Lehrbub", hieß es von den Sekretärinnen. Er hat im Packraum geholfen, Pakete von der Post geholt, Vorschusszahlungen auf die Bank gebracht oder auf der Bank Geld abgeholt. Und natürlich musste man als Stift zur Metzgerei Geiger, um Leberkäswecken zu holen. „Das hat mir alles nicht geschadet."

Rund 50 Mitarbeiter hatte Schlegel Ende der 50-er Jahre. Das Leben war entschleunigter, auch das Arbeitsleben. „Das Miteinander war noch gemütlicher", sagt Rolf Geisinger. Die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen war einfacher, vieles ging auf Zuruf. Dass jemand vom Werkzeugbau in der Montage aushalf, war selbstverständlich. Jeder machte vieles.

Mehr Freiheiten

Am Ende der Lehrzeit hatte Rolf Geisinger die Auswahl: Geht er in den Einkauf oder den Vertrieb? Er hat sich für den Vertrieb entschieden: Im Einkauf redeten ihm zu viele mit. Im Vertrieb war das Feld noch weitgehend unbestellt, Geisinger hatte Gestaltungsfreiheit und musste und durfte lernen. Aber das hatte ihm der Firmengründer Georg Schlegel schon nach der Lehrzeit gesagt: „Du hast im Leben nie ausgelernt, nur die Lehrzeit beendet." „Lebenslanges Lernen" heißt das heutige Schlagwort dazu.

Geisinger hat gelernt und sich und den Vertrieb weiterentwickelt. Er hat 40 Jahre lang die kaufmännischen Azubis ausgebildet, hat Messen organisiert, war bei Kunden, hat Preisverhandlungen geführt, in den Anfangsjahren auch das Transportwesen organisiert; er hat Anfang der 90er die Übernahme der DDR-Firma DUX mitbegleitet und war auch maßgeblich an der EDV-Einführung beteiligt, gegen die sich der Firmengründer Georg Schlegel zunächst gewehrt hatte.

Auftragsbuch mit 2 Metern
Bis Anfang der 80er wurde noch alles auf Papier festgehalten. Das Auftragseingangsbuch war die „manuelle EDV". In dem Buch wurden alle eingehenden Aufträge erfasst: Eingangsdatum, Name, Auftragsnummer und jede einzelne Bestellung mit den Baureihen und Typenbezeichnungen. Dass dafür ein normales Buch nicht reichte, war klar. Dieses XXL-Buch war aufgeschlagen sage und schreibe zwei Meter breit.

Rolf Geisinger konnte sich der Rückendeckung seiner Chefs stets sicher sein. Nie habe er eine Rüge für seine Kalkulation erhalten, äußert sich Geisinger zufrieden. Das Vertrauen war da, dieses Vertrauen hat er sich erarbeitet. „Die Kunden haben seine Konsequenz geschätzt", lobt Eberhard Schlegel. Wenn Rolf Geisinger einen Liefertermin genannt hat, dann konnten sich die Kunden darauf verlassen. Und auch bei technischen Fragen konnte er mitreden.

Und dass er schwäbisch „geschwätzt" hat, war kein Nachteil. Nicht mal auf der Hannover Messe, wo er über viele Jahre am Schlegel-Stand Dienst tat. Am Anfang habe er schon „nasse Hände" gehabt, wenn einer auf ihn zukam, gesteht er heute. Aber „das muss man überwinden".

Sind Schwaben Deutsche?
Die sprachliche Anpassung muss ihm gut gelungen sein. Denn über viele Jahre war er während der Hannover Messe stets im gleichen Privatquartier untergebracht. Eines Morgens hat er mit Georg Weber, dem kaufmännischen Leiter von Schlegel, gemeinsam gefrühstückt und dementsprechend geschwäbelt. Daraufhin sei die kleine Tochter des Hauses völlig irritiert in die Küche zur Mutter gelaufen und habe gerufen: „Mutti, Mutti, ich dachte immer Herr Geisinger sei Deutscher". Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählt der Ruheständler diese Anekdote.

Die Hannover Messe war immer für Anekdoten gut. In bleibender Erinnerung ist dem ehemaligen Vertriebsleiter geblieben, wie er gemeinsam mit Eberhard Schlegel einen Messestand dichtmachte, weil dort Schlegel-Plagiate ausgestellt waren. Oder, dass am Ende der Messe stets eine Vertretertagung am Stand stattfand. Aber damit auch ja kein Mitbewerber mitbekam, was gesprochen wurde, musste ein Schlegel-Mitarbeiter um den Stand patrouillieren und sicherstellen, dass niemand spionierte.

Solides Wachstum

48 Jahre ist Geisinger der Firma treu geblieben. Ob's immer so gut war? Er weiß es nicht. Er hatte auch Angebote zu wechseln. Aber ihm hat gefallen, dass die Firma so innovativ war, dass eine so kleine Firma wie Schlegel schon seit 1953 auf der Hannover Messe ausgestellt hat. Die Flexibilität des Unternehmens hat er sehr geschätzt. Und auch, dass sie nur langsam gewachsen ist. Einmal wollte ein bekanntes Industrieunternehmen im großen Stil bei Schlegel ordern. Doch das hätte das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt überfordert. Also blieb man bei der Strategie, auf viele kleinere Kunden zu setzen. Das ist der gesündere Weg, den Schlegel auch heute noch geht. Ein solider Wachstumskurs.

Den hat Geisinger bis 2004 begleitet. Nach 47 Jahren in Vollzeit und einem Jahr in Altersteilzeit ist er aus dem Unternehmen ausgeschieden. „Ich habe meinen Weg gemacht bei Schlegel", sagt er im Rückblick.

Zurück